Zur Zeit (Sommer 2012) findet im Museumsdorf Cloppenburg die Sonderaustellung "Umbruchszeit" statt, die den neuen Lebensstil der 1960er und 70er Jahre dokumentiert. In jener Zeit war die erste Nachkriegsgeneration herangewachsen. Sie brach zu einem großen Teil mit dem Lebensstil der Vor- und unmittelbaren Nachkriegszeit, sowie mit den alten Konventionen, Symbolen und Wertvorstellungen der autoritären Vorkriegsgesellschaft. Zeitgleich fand ein Wirtschaftswachstum von jährlich über 3% und eine permanente Steigerung der Produktivität statt, wovon die Arbeitnehmer einen guten und angemessenen Anteil erhielten. Dies war damals noch selbstverständlich. Die Lohnquote (Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Bruttoinlandsprodukt) betrug rund 70%. Der Lebensstandard stieg permanent, Konsum und Binnenmarkt florierten. Im Zuge des Wettbewerbs der beiden Weltsysteme (Kapitalismus und real existierender Sozialismus) wurde ein Sozialstaat ausgebaut, von dem wir heute nur noch träumen können. Hinsichtlich der Sozialpolitik gab es unter dem Begriff der "sozialen Marktwirtschaft" einen solidarischen gesamtgesellschaftlichen Konsens, der heute nicht mehr besteht. Niedriglohnsektor, prekäre Beschäftigung, Umverteilung von unten nach oben, Steuerflucht, Abbau von Arbeitnehmerrechten, Tarifflucht und Privatisierung der Daseinsfürsorge waren weitestgehend unbekannt. Im "Kalten Krieg" sorgte der "Eiserne Vorhang" für außenpolitische Stabilität und Frieden in Europa. Er wurde dennoch durch die Entspannungspolitik der sozial-liberalen Ära für die Menschen allmählich durchlässiger. Natürlich gab es auch wirtschaftliche Krisen. Mit diesen Situationen ist die Politik gut fertig geworden. Die mit den an Keynes orientierten Konjunkturprogramme waren erfolgreich. Der kommende große Strukturwandel in der Industrie mit dem dramatischen Abbau von Bergbau, Schwer-, Schiffs- und Textilindustrie war allerdings schon absehbar, nicht aber die "Wende" von 1989 und die darauf folgende neoliberale Entfesselung des Kapitalismus. In den 70ern schien es immer nur besser zu werden und vorwärts zu gehen. Begleitet war die Zeit vom Siegeszug der afro-amerikanischen Musik. Jazz und Rock erlebten ihre innovativste Phase. Die 70er Jahre waren insofern ein goldenes Zeitalter.
Im Begleitprospekt der Ausstellung ist zu lesen: "[...] Konsum, Partizipation, Selbstverwirklichung sind Schlüsselbegriffe eines Lebensgefühls, das mit neuer publizistischer Macht in der Gesellschaft allgegenwärtig ist. Pardon und Konkret, Twen, Bravo, Eltern und Jasmin heißen nun die Zeitschriften, die neben dem seit 1967 auch farbigen Fernsehen die Wahrnehmung prägen. Enttabuisierung und Befreiung werden zu Synonymen, die 'Pille' zum Symbol eigener Entscheidungskraft. [...] PopArt ist überall. Bunt und aufreizend kommt die neue Mode daher. Gleichzeitig markieren lange Haare, Jeans und Parka die Uniformen eines neuen Lebensstils, der sich vermeintlich individualistisch gegen das Alte kehrt. Musik spielt, wo man geht und steht. Plattenspieler, Kofferradio und Kassettenrecorder schaffen den mobilen Sound. So mancher Landgasthof mausert sich zur Diskothek, so mancher Bauernhof zum Plattenstudio. Im politischen Aufbruch kommen Reform und Liberalisierung auf die Tagesordnung. Bildung steht ganz oben an, und so manche Region erfüllt sich den Traum einer eigenen Universität. Zunehmend sind es nicht mehr nur die Parteien, sondern 'Bewegungen', in denen sich politischer Wille manifestiert. Frieden und Umwelt werden zu ihren Anliegen, Krieg und Kernkraftwerke seither zu Themen ungebrochener Aktualität. [...]"
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